Schon von weitem verströmen die alten Gebäude des Kranzbachs die Aura eines elisabethanischen Landsitzes. Begrüßt von den Torhäusern zieht sich die hochherrschaftliche, mehr als einhundert Meter lange Auffahrt bis zum Haupthaus nebst der diskreten Rezeption. Die hier Ankommenden werden auf magische Art entschleunigt. Dennoch verwundert den Betrachter die britische Anmutung dieses Anwesens.
Exzentrische Geburt. 1913 erwarb Krün „The Honourable“ Mary Isabel Portman und beschloss kurzer Hand, hier ein Refugium für Künstler zu erbauen. Die 36jährige, eigensinnige Britin hatte in Leipzig Musik studiert, entdeckte auf einem Ausflug in die „Sommerfrische“ diesen besonderen Flecken Erde. Doch der 1. Weltkrieg beendete ihren Traum. Die Lady bezog nie das „Englische Schloss“ – wie es die Einheimischen bald nannten –, und das Haus dämmerte als Eigentum der evangelischen Kirche bis 2003 im Dornröschenschlaf.
Wachgeküsst. Abgewohnt kaufte das Kleinod 2003 eine österreichische Hotelbetreiberfirma und entwickelte bis zur Eröffnung 2007/08, das Konzept eines „spezialisierten Natur- und Wellness-Hotels“. Ein Team aus vier Architekten und die Londoner Interieur Designerin Ilse Crawford verliehen dem Objekt die rustikale Eleganz. Den Charme jedoch verdankt das Kranzbach den Menschen, die hier für ihre Gäste brennen.
Querköpfe. Wer nach Charakter strebt, braucht den Mut für Persönlichkeiten. Und Charakter hat dieses Haus. Den Mut dafür sein Geschäftsführer Klaus King. Der schaut überaus sympathisch und warmherzig auf seine Mannschaft, die allesamt Künstler auf ihrem Gebiet sind.
Eine der Persönlichkeiten, dessen Leidenschaft schon morgens als verführerischer Duft durch das große, lichtdurchflutete Restaurant zieht und auf jedem Teller landet, ist Eberhardt Holz. Der rührige Bäcker stammt aus Baiersbronn, der deutschen Gourmet Hochburg im Schwarzwald. Nach einer unglaublichen Karriere, die ihm einen Europameistertitel und sogar eine Professur für Bäckerei in Wolgograd einbrachte, wollte Holz sich zur Ruhe setzen. Zu lange hatte der Schwabe den Politeliten rund um den Globus das „tägliche Brot“ gebacken. Doch wenn der Teigkünstler bäckt, ist das mehr als bloße Herstellung von Brot. Das ist Berufung und große Diplomatie. Früher bedeutete das für ihn rein in den Flieger, raus aus dem Flieger, rein in die Backstube, raus aus der Backstube. Da kam der Ruf ins Kranzbach gerade recht. Es war die Chance, etwas runter zufahren, glaubte er: „Ich wollte ja nur noch ein zwei Mal in der Woche an die ,Teigschüssel’. Doch habe ich schnell gemerkt, ein bisschen schwanger geht eben nicht!“ So steckt der Diplomat mit seinen Mehlhänden wieder Tag für Tag im Vorteil und Hauptteig, kreiert Kuchen und gießt Schokoladen, die dann am Abend den Gästen ad libitum die Nacht versüßen.
Für das, was aus der Küche kommt, steht der junge Küchenchef Robert Schappach. Der Thüringer begann seine Kariere als Souschef im Kranzbach. Was er zaubert ist kreativ und modern. Vorwiegend Regionales wird Niedertemperatur und rückwärts gegart und leichtfüßig und international präsentiert.
Gute Geister. Schon morgens begrüßen die Damen und Herren des Service unaufgeregt und mit einem strahlenden Lächeln die Gäste. Sie wachen argusäugig über deren Wohl, auf dass ihnen kein Wunsch der anspruchsvollen Klientel durch die Lappen gehe. Die kann sich aber auch direkt am Büffet und an den kreativen Stationen, wie dem Saftraum, dem Kräutergarten und den Käsekästen bedienen. Was mich zu den Lieferanten des Hauses bringt.
„Delikateure“. Auch hier treffen ich auf querköpfige Ausnahmeerscheinungen. Einzigartig der Hartkäse-Affineur Thomas Breckle (51) mit seinem Kompagnon Martin (27) deren Käse nur hier im Kranzbach, auf zwei Wochenmärkten oder in seinem Laden in Kempten zu bekommen sind. Breckle pflegt seine Rohmilch-Babys in einem alten Klosterkeller im Allgäu und besucht mit seinem Kollegen die Käser zwischen der Schweiz und Deutschland auf deren Almen, am liebsten mit dem Mountenbike. Die Milch der köstlichen Leibl muss höchsten Ansprüchen genügen. Nur so wäre das Ergebnis am Ende aromenintensiv und cremig. Ausschließlich von Rotbunten stamme die Milch, so Breckle, und Hörner müssen die Kühe haben, das ist wichtig und dann gibt es da noch so ein paar andere Geheimnisse. Die Namen der Köstlichkeiten klingen freakig, wie beispielsweise der meines Favoriten: schwarze Mamba. Der hat wahrlich Lustpotential.
Bienendompteur. Nicht zu vergessen sei der „Hausimker“. Eigentlich ist er der staatliche Revierförster von Krün. Seinen mehrfach prämierten Gebirgshonig produzieren seine liebevoll gepflegten Bienen. Und diese Liebe schmeckt man im flüssigen Gold, dass angeblich sogar eingefleischte Honigignoranten schon süchtig werden ließ.
Eine Schar guter Geister. Ich könnte noch so viele Mitglieder des Teams Kranzbach aufzählen: Jene, die mich begrüßten und verabschiedeten. Jede, die in den ökologisch-eleganten Zimmern, mit direktem Zugang in die atemberaubende Natur, unermüdlich meine Spuren des Alltags beseitigen. Oder die, die im SPA-Bereich massieren, zupfen und zur Bewegung animieren u.s.w.
Ach, man müsst ganze Hymnen komponieren über Detoxprogramme, die beeindruckenden Alpenblick-Saunen, die Umgebung samt der Zugspitze – die schon Merkel und Obama in ihren Bann zog. Aber das ist sicher eine neue Geschichte. Und so bleibt mir nur wieder zukommen, um mich im Himmel auf Erden fallen zulassen, der im Kranzbach ganz irdisch mit seinen Menschen beginnt.