Es gibt wohl kaum eine Metropole, die sich in den letzten 20 Jahren so verändert hat, wie Moskau. Zu beiden Ufern des gleichnamigen Flusses gelegen, ist sie nicht nur die teuerste, sondern auch die kapitalistischste unter den Metropolen der Welt. Der russisch deutsche Autor Wladimir Kaminer, der Anfang der 1990er Jahre nach Berlin übersiedelte, sagt über den Ort seiner Kindheit: “Die Stadt, die ich damals verließ, hat mit dem heutigen Moskau nur noch wenig zu tun. Heute ist Moskau eine Gelddruckmaschine, und man kann sich heute alles kaufen: blauen Himmel, frische Luft, nette Nachbarn.” Ich bin Gast des Sport-Ministeriums der Russischen Föderation. Der Anlass ist der Start der Silk-Rallye, einer Schwesterveranstaltung der Rallye Paris-Dakar, die Waldimir Putin im Rahmen seines Brot-und-Spiele-Programms für seine motorbegeisterten Untertanen in 2011 vom Roten-Platz starten lässt. Für mich ein willkommener Anlass, dem Megagorod Moskau einen kurzen Besuch abzustatten. Und schon am Flughafen soll mein “Erlebnis Moskau” beginnen.
Zur Begrüßung meine Privatrallye. Mich empfängt ein durchtrainierter junger Mann in schwarzem Anzug mit weißem Hemd und Krawatte. Sein Englisch hat einen charmanten slawischen Akzent. Mit den Worten “Hallo Misses Paetow. Can i chelp you!” schnappt sich der Bursche meine Koffer und verfrachtet mich in seine Limousine. Es geht auf die sechsspurige Autobahn in Richtung Innenstadt. Und während ich noch in meinem holprigen Schul-Russisch frage, wie weit denn das Hotel entfernt sei, gibt der Junge Gas und lacht. “Wissen Sie, wir hier in Moskau denken nicht in Kilometern, sondern in Minuten um von A nach B zu kommen.” Ich verstehe: rechts, links, Augen zu und durch. Was er meint, ist der hier offensichtlich übliche Fahrstil mit Herzinfarktrisiko. So fahren hier alle. Um so erstaunlicher, dass ich am Ende doch unbeschadet an meinem Ziel – dem Radisson “Royal” – ankomme.
Check-in in der Luxusklasse. Bereits bei meiner Ankunft fällt mir der unglaubliche Fuhrpark vor der Auffahrt der Edelherberge auf. Dicht drängen sich Rolls Royce und Maybach, und lassen den einen oder anderen S-Klasse Mercedes oder 7er BMW fast etwas mickrig neben sich wirken. Wer hier vorfährt, will sich präsentieren: Hier bin ICH: mein Auto, meine Frau, First Class und selbstverständlich getuned. Ich winde mich mit einem kühlen “Privjet” (heißt so viel wie “Hallo”) vorbei an drei Wachoffizieren des Sicherheitspersonals, durchschreite die große Empfangshalle und steuere zur Rezeption. Wie ein Schatten folgt mir mein Chauffeur mit meinem Koffer. Die weiblichen Concierges (es sind gleich fünf) in ihren knallroten Designer-Uniformen begrüßen mich überbemüht freundlich, als hätten sie Angst, ich würde eventuelle Fehler oder eine etwaige Unaufmerksamkeit sofort melden, was Sie ihren durchweg sehr hübschen jungen Kopf kosten könnte. Sie kümmern sich um den Chauffeur und mein Gepäck. Nach den Formalitäten geleitet mich eine der Damen auf mein für meinen Geschmack etwas zu barockes Zimmer. Dann lässt sie mich nach einer kurzen Einweisung allein. Puuh, diese angestrengte Zuvorkommenheit muss man erst mal aushalten! Egal, ich ziehe mich um und freue mich auf ein tolles Dinner in einem der fünf Restaurants des Haus. Auf meinem Programm steht heute das Farsi – persische Küche. Wieso persisch…? Nun ja, die Moskauer lieben es ausgefallen, erklärt man mir später und wirklich, die Küche ist außergewöhnlich gut! Später erfahre ich, dass die Restaurants im gesamten Haus, ebenso wie die Karaoke-Bar, nicht wirklich zum Haus gehören. Sie sind verpachtet an die besten Gastronomen der Stadt. Diese Konkurrenz garantiert im Buhlen um solvente Gäste beste Qualität. Die Idee find ich klasse. Sie stammt vom noch amtierenden CEO des 2011 zum “Besten Hotel der Welt” gekürten Hauses, dem Deutschen Wolfgang Nitschke. Der clevere Selfmade-Millionär half bereits Hotels wie dem “Bursh al Arab” ins Leben und gilt als der Innovativste unter den Hotelchefs weltweit! Ebenso eigenständig betreibt man im “Royal” die Bar, wo sich folgerichtig Abend für Abend das Who is Who Moskaus trifft. Wer hier reserviert, garantiert pro Person einen Umsatz von 1000 Dollar. Ich denke an die Münchner Wiesen und merke, die 80 Euro die beispielsweise Käfer für einen “Gutschein” pro Person aufruft, sind hier quasi das Trinkgeld! Na dann Prost!
Moskau entdecken. Am nächsten Morgen breche ich zeitig auf, um etwas von der Stadt zu sehen. Gleich auf der gegenüberliegenden Uferseite leuchtet mir ein weißer Palast entgegen. “Von hier aus hält Ministerpräsident Putin zur Zeit die Fäden in der Hand”, erklärt mir Natalja, meine Fremdenführerin für heute, stolz. “Wir nennen es unser Weißes Haus, aber bald ist Putin ja wieder im Kreml”. Es scheint, als gelte der Prophet hier noch was im eigenen Land. Auf die Frage, warum sie offensichtlich so für Putin schwärme, erklärt mir die Mittvierzigerin: “Wissen Sie, seit Putin regiert haben wir viel mehr Arbeit, weniger Kriminalität und kaum Betrunkene auf den Straßen.” Das verstehe ich. Und wie wir weiter entlang der Moskwa fahren, verweist sie auf das gegenüberliegende Ufer: “Schauen Sie, da rechts entsteht der neue Business-District.” Ich blicke auf eine Riesenbaustelle und einige Hochhäuser. Stahlbeton – klar, unterkühlt, austauschbar – Wolkenkratzern wie in London, Dubai oder Shanghai. Das ist also das Moskau von Morgen, und wo ist das historische Moskau, oder das von heute? Ich glaube das würde mir mehr gefallen. Es soll mir später begegnen.
Erster Stopp. Lomonosov Universität. Das berühmte Gebäude der Kaderschmiede des Sozialismus, das bis heute neben einigen Verwaltungsbüros vor allem das Internat beherbergt, gehört, wie auch mein Hotel zu den “Sieben Schwestern”. So nennen die Moskauer diese Stalinbauten im Zuckerbäckerstil. Erschlagend in ihrer Größe erheben sie sich fast bedrohlich über die Stadt. Doch anders als das vollständig umgebaute Radisson hat das Internat der Universität immer noch Zimmer in der Größe von Hühnerkäfigen. “Deshalb”, erklärt mir Natalija “will hier kaum noch ein junger Mensch wohnen.” Nachvollziehbar, fröstelt mich doch schon beim Anblick dieses seelenlosen Prachtbaues. Ich mache ein paar Fotos und schon geht´s weiter.
Zweiter Stopp: Arbat Uliza und Twerskoj Prospekt. Arbat, die Straße der Künstler, ist an den Wochenenden und bei schönem Wetter ebenso Destinationen für Touristen wie für Unterhaltung suchende Einheimische. Neben russischen Fastfood Tempeln (deren Borschtsch und Pelmeni für ausländische Gaumen gar nicht so übel schmecken) gibt es hier Kitsch, Kunst und Straßengaukler, so weit das Auge reicht. Ich interessiere mich mehr für die unzähligen Antiquitätengeschäfte. Alte Samoware, Leuchter oder Uniformen stapeln sich hier zu Hauf. Es ist, als verkauften die Moskauer ihr Tafelsilber. Da drängt sich mir die nächste Frage auf: Tun Sie es aus Geldmangel, oder weil sie der alten Dinge überdrüssig sind? Denn so wie Sie versuchen ihre Antiquitäten zu verhökern, entledigen sie sich auch immer mehr ihrer historischen Wohnvierteln. Eine Antwort von Natalja bekomme ich nicht. Schade, aber eins ist sicher: Wenn Moskau nicht aufpasst, könnte sich die Stadt so zu Tode verkaufen. Bevor das also passiert möchte ich wenigstens noch einen Blick auf einige der alten Bauten werfen. Und wo ginge das besser als am berühmten Twerskoj Boulevard. Natalja und ich besteigen kurzer Hand die Metro – auch ein Muss für Touristen mit ihren prächtigen vor Gold strotzenden Stationen. Nach nur einem Halt sind wir dann auch schon auf der ältesten unter den Moskauer Prachtstraßen. Einst bewohnte die hochherrschaftlichen Gebäude der Moskauer Adel. Im kleinen Park, der die Straße teilt, flanierten sie und Schriftsteller wie Tolstoi, Puschkin und Tschechow widmeten dieser attraktiven Meile ganze Romane. Hier lasen im “Hertzen –Haus” Jessenin und Majakowski aus ihren Werken und die umjubelte Schauspielerin Maria Jermolowa empfing zu extravaganten Soireen. Das ist Moskau wie ich es mir erträumt hatte. Und weil wir schon mal da sind, gestatten wir uns einen Abstecher ins “Cafe Puschkin”. “Das beste Restaurant Moskaus ” empfahl mir vor meiner Abreise eine Kollegin. “Da muss man gegessen haben.” Also los! Wir ergattern zwei der begehrten Plätze. Ich studiere die Karte und stelle fest: die Weine französisch, die Speisen russisch und die Preise appetitzügelnd. Aber die Qualität stimmt, und sicher zahlt man hier auch für den geschichtsträchtigen Ort, entschuldige ich die exorbitante Rechnung. Ich erkundige mich danach, seit wann dieses Restaurant existiert und werde von Natalja auf den Boden der Moskauer Realität zurückgeholt. Das Puschkin ist ein Potemkinsches Dorf! Eröffnet nach der Perestroika, ist das Interieur so falsch wie dritte Zähne. Alles 21. Jahrtausend, wenngleich perfekt auf “alt” gemacht. “Wenn Sie gute Produkte, gutes Essen in einem noch wirklich historischen Laden sehen möchten,” lacht Natalja, “dann dürfen Sie unser bestes Feinkost-Geschäft nicht missen!” Das Jelissejew liegt nur einige Hausnummern vom Puschkin entfernt und ist das Mekka verwöhnter Gaumen. Hier gibt es alles, was mir an russischen Delikatessen einfällt: Kaviar, Pelmeni, ganz frisch, Kascha, Vogelmilchkonfekt, Krimskoye, natürlich alle Arten von Wodka und, und, und. Gegründet wurde das Geschäft bereits 1901 von den Brüdern Jelissejew. Nach der Oktoberrevolution verstaatlicht, dümpelte der Laden dann Jahrzehnte im Dämmerschlaf. 2003 zu neuem Leben erweckt, erstrahlt der Delikatess -Tempel heute wirklich im alten Glanz. Hier könnte ich noch Stunden verbringen, doch Natalja treibt mich weiter. “Wir wollten doch noch in den Kreml!”
Dritter Stopp: Die Alte Festung. Der Kreml ist der Ort, an dem fast alle Zaren beigesetzt wurden. Der Kreml ist das Zentrum der Macht, der Sitz der Regierung der Russischen Föderation. Neben Regierungsgebäuden kann, wer Zeit hat, die Schätze bestaunen, die das russische Weltreich zusammen getragen hat. Uns fehlt es an Zeit, also beschränken wir uns auf vergoldeten Fassaden, die größte Kanone der Welt, die nie abgefeuert wurde, die Kirchen mit ihren in der Sonne glänzenden Zwiebeltürmen und ein Blick über die Kremlmauer auf die Moskwa. Es ist, als inhalierte ich Moskau im Konzentrat. Um die Stadt in der Stadt allerdings wirklich zu erobern, bräuchte es wahrscheinlich Tage. Die Zeit drängt.
Start Ziel – Auf dem Roten Platz. Bereits seit dem späten Nachmittag drängen sich hunderte Menschen auf dem geschichtsträchtigen Platz vor dem Kreml. Es herrscht Volksfeststimmung. Viele Moskauer sind gekommen, um den Start der international rekrutierten Motorcrews zu beobachten. Der Rahmen ist unbestritten grandios, marschierten hier doch einst die “Rote Armee” vorbei an Breschnjew und Co. Die rotgetünchten Ziegel-Mauern und die im gleichen Farbton gestrichene Fassade des Historischen Museums haben in der Abenddämmerung fast etwas Unwirkliches. Dem gegenüber das alte GUM, ein Kaufhaus zu vergleichen mit dem “Lafayette” in Paris oder Harrods in London, wirkt mit seinen Lichterketten fast wie ein Maharadscha-Palast. Die Zwiebeltürme der Basilius Kathedrale gleich nebenan erinnern mich an bunte orientalische Turbane. Ich zücke meinen Presse-Ausweis und erklimme die Terrasse des VIP-Zeltes. Von hier aus hat man einen tollen Blick auf die Teams, die nun eines nach dem anderen die Start-Rampe unter dem Beifall der Menge verlassen. Um mich herum eine illustre Schar der Moskauer Society. Elegante Menschen bei gepflegten Häppchen und edlen Weinen. Wodka-Orgien Fehlanzeige. Hier ist keiner laut, nichts ist aufdringlich – eine Szene, die mal abgesehen vom Hintergrund, jenen VIP-Empfängen zwischen Long Island und Hong Kong gleicht. Ich schaue meine Fremdenführerin an und frage sie ein letztes Mal vorsichtig: “Natalja, man sagt den Russen immer exzessive Gelage nach, ist das nicht mehr so!” Sie lächelt “Vielleicht noch hinter verschlossenen Türen. Aber wissen Sie, Hanka, das hier ist das Moskau von heute… .”
Gefaellt mir gut der Blog. Schone Themenwahl.
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